Tagebuch – Ausreinigung der Domorgel
Die Rieger-Orgel im Essener Dom wurde ausgereinigt
Zwischen Dienstag in der Osterwoche und Dienstag vor Christi Himmelfahrt wird die Domorgel von Orgelbauern der Erbauerfirma Rieger Orgelbau (Schwarzach/Vorarlberg) ausgereinigt. Dabei werden alle 5102 Pfeifen sowie das komplette Innenleben des Instruments von Staub, Kerzenruß und Weihrauch befreit, bevor es gilt, Stimmung und Intonation in alter Pracht wiederherzustellen, sodass die Orgel auch in den nächsten Jahrzehnten Liturgie und Konzert mit ihrem herrlichen Klang bereichern kann.
Work in progress – Montag, 30. April bis Dienstag, 8. Mai
Diese letzte Woche der Orgelausreinigung ist geprägt von harter Arbeit: mit Stephan Niebler und Daniel Orth stoßen die Orgelbauer zum Team, die sich um die Zungenstimmen der Domorgel kümmern sollen.
Angesichts des knapper werdenden Zeitrahmens erfolgen die Arbeiten nun in Doppelschichten – morgens und tagsüber werden die Zungen bearbeitet, nachmittags, abends und bis in die Nacht (teilweise gar bis weit nach Mitternacht) arbeiten Michael Fritsch und Karl Görnitz weiter an den Labialpfeifen.
Hierbei sind auch schwierige Entscheidungen zu treffen und viele Gespräche zu führen: wie sich herausstellt, sind beispielsweise die Zungenblätter der Trompete 8′ im Hauptwerk der Hauptorgel nicht der Bauweise des Registers entsprechend ge- und bearbeitet, sondern weitgehend modifiziert. Da anfangs nicht klar ist, ob dieser manchmal gar etwas improvisiert wirkende Zustand der originale ist, wird anhand einiger Pfeifen der Klang, wie er Mensur und Bauweise des Registers eigentlich entsprechen würde, realisiert. Und hier erweist sich dann, dass – analog dazu ist in Erfahrung zu bringen, dass dieses Register (es entspricht in der Mensur der Bombare 8′ im Auxiliaire) wohl seit der Orgelweihe nicht mehr klanglich verändert wurde – diese ursprüngliche Mensurierung für Raum und Instrument verhältnismäßig viel zu kräftig ist und zwar als Solist hervorragende Wirkung erzielen könnte, klanglich aber nicht mehr in die Hauptorgel zu integrieren wäre.
Wie nun bei der ersten Intonation viele ungewöhnliche, äußerst kreative Maßnahmen nötig waren, um dieses Register in den Gesamtklang einzubinden, fällt auch bei der Ausreinigung der einmütig gefasste Entschluss, diesen Status quo ante herzustellen und die Zungenstimmen in der gesamten Hauptorgel in dieser Weise in ihrer Klanglichkeit zu belassen, die technische und klangliche Funktionsfähigkeit – dazu gehört auch die Stimmbarkeit bzw. Stimmhaltung – aber zu sichern. Lediglich einige Anpassungsarbeiten innerhalb der Registerverläufe sind nötig – ansonsten aber präsentiert sich die Hauptorgel in den Zungenstimmen grundsätzlich wie im Jahr 2004.
Zungenblatt der Trompete
Mit Lötzinn bearbeitetes Zungenblatt der Trompete – Stand VOR der Ausreinigung. Zungenblätter wie dieses wurden ausgetauscht und eine ähnliche Wirkung mit anderen Hilfsmitteln wie kleinen Papierröllchen erzielt.
Pedal und Hauptwerk
Erhebender Anblick am Sonntag, 6. Mai: während in der Vorabendmesse noch keine Mixtur zu verwenden war, stehen ab jetzt das Pedal und das Hauptwerk uneingeschränkt zur Verfügung.
22. Tag – Samstag, 28. April
Das Stimmen und die intonatorische Feinarbeit des Labialwerks schreitet gut voran – es wird nicht mehr lange dauern, bis auch das Schwellwerk wieder alle Grundstimmen bietet.
Orgelbauers Werkzeug
Vorn sichtbar sind die gedeckten Pfeifen des Bourdon 8′ im Schwellwerk, dahinter die engen Streicherregister
21. Tag – Freitag, 27. April
Eine große Überraschung am Morgen: seit dieser Nacht sind alle Grundstimmen im Hauptwerk und Positiv wieder spielbar, ebenso Cornet (HW), Sesquialtera (Positiv) und Untersatz 32′, Principal 16′, Subbass 16′ und Principal 8′ im Pedal.
Linke Registerstaffel
Markiert sind die noch nicht wieder spielbaren Register; teils sind sie noch ausgebaut, teils stehen sie zwar wieder in der Orgel, sind aber noch nicht gestimmt und intoniert. Ein reizvolles Detail am Rande: links sichtbar sind die Schalter für Hauptorgel (oberer Kopf; Dompropst em. Prälat Günter Berghaus) und Auxiliaire (unterer Kopf; Rendantin Elisabeth Strank) – hier sind die für den Bau dieses Instruments so wichtigen Personen verewigt.
Rechte Registerstaffel
Gut sichtbar: die Druckknöpfe unter den einzelnen Abteilungen des Auxiliaires. Mit diesen sogenannten Floating Divisions lässt sich nach Belieben jede Abteilung auf jedem Manual anspielen: die sich daraus ergebenden klanglichen Möglichkeiten sind immens!
Pfeifenwald im Hauptwerk
Blick in den wiedererrichteten Pfeifenwald im Hauptwerk – die im Vordergrund stehenden Zungen harren noch der Überarbeitung, die Mixturen warten noch auf Stimmung und Angleichung, aber dann ist bald wieder das komplette Manual spielbar.
20. Tag – Donnerstag, 26. April
Heute wurde nun die lang erwartete Schmutzanalyse vorgenommen – mit Abstrichen an einer noch nicht gereinigten Glasjalousie, im Korpus von Pfeifen des Registers Fagott 16′ im Pedal, analog dazu an Pfeifen des Bombardwerks im Auxiliaire und an einer Holzfläche im Auxiliaire.
So erhoffen wir uns Erkenntnisse darüber, welcher Schmutz quasi von außen eingebracht wird (Glasjalousie), was durch das Windsystem der Orgel kommt (Pfeifenwerk) und wie es grundsätzlich im Auxilaire aussieht (Holzwand des Hochdruckwerks).
Filter
Die Wichtigkeit dieser Analysearbeiten wird durch diesen Anblick untermauert: der Filter wird täglich grauer und verschmutzter.
19. Tag – Mittwoch, 25. April
Die Stimmung der Hauptorgel schreitet gut voran; mittlerweile stehen auch die Grundstimmen im Positiv im Fokus der Orgelbauer.
Das Auxiliaire präsentiert sich derweil bereits abgesaugt, aber noch nicht ausgewischt und erlaubt den Blick auf die Lade (Pitman-Bauart) des Gedecktbass 16′ sowie auf die doppelte Labiierung der Doppelflöte (dem Namen fast widersprechend ist die Mehrzahl der Pfeifen gedeckt und nicht offen gebaut).
Mittlere Holzpfeife
Bei der mittleren Holzpfeife lässt sich gut die doppeltlabiierte Bauform erkennen: der Rücken des Korpus‘ ist nicht massiv gebaut, sondern symmetrisch zur Vorderseite aufgebaut; die Pfeife wird also von zwei Seiten angeblasen. Das intensiviert das Ansprachegeräusch und den Klang. Rechts im Blick: eine Pfeife der Tuba mirabilis 8′.
Lade des Gedecktbass
Blick auf die Lade des Gedecktbass 8′ resp. 16′. Die schwarzen Kondukten versorgen die Pfeifen einzeln mit Wind; das gesamte Konstrukt steht laufend unter Wind. Diese Lade ist ein wenig ein Sorgenkind, da einzelne Magnete mittlerweile sehr (auch laut-)stark schlagen.
Orgelbank
Eine Augenweide: die frisch von den Schreinern zurückgekommene, abgeschliffene und neu polierte Orgelbank.
18. Tag – Dienstag, 24. April
Zwischenzeitlich sind alle Labialstimmen im Hauptwerk bis zur Oktave 2′ gestimmt und es gibt nur noch einige wenige Details in der Anpassung der Intonation einzelner Pfeifen. Es ist sehr schön, die Orgel wieder klar und sauber zu hören!
Gebläse und Gebläsemotor
Blick auf Gebläse und Gebläsemotor: im Normalfall ist die Klappe mit dem Luftfilter (weiß im Bild) geschlossen. Erschreckend: der neue Filter ist jetzt seit anderthalb Wochen in der Orgel eingebaut und schon wieder merklich angegraut (s.u.).
Blick auf den Filter
Blick auf den Filter, wie er sich nach gut zwei Wochen nach Einbau präsentiert: er wird schon wieder merklich grau. Eine Arbeitsgruppe ist bereits eingerichtet, in der diese Problematik behandelt und für die Zukunft nach Möglichkeit abgestellt werden soll.
Das Hochdruckwerk
Man vergleiche dieses Bild mit der Aufnahme des Hochdruckwerks (Beitrag vom 17. Tag): bemerkenswert, welchen Schmutz die Pfeifen nach hinten absorbieren bzw. welcher Dreck sich auch im Auxiliaire angesammelt hat. Zwischenzeitlich sind Rasterbretter und Pfeifenstöcke auch hier gereinigt, sodass dieses Bild rein dokumentarischen Charakter hat.
Addendum – Kirche in der Welt
In einem sehr schönen, informativen Artikel dokumentieren Martina Schürmann und Kerstin Kokoska in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung und in der Neuen Ruhr Zeitung die Arbeiten. Erfreulich, dass die Öffentlichkeit auch über die Kanäle der Funke Mediengruppe von dieser ganz besonderen Pflege der Musica sacra erfährt!
In der WAZ: Lehrling Karl Görnitz unterwirft sich der Spieltraktur der Hauptorgel
17. Tag – Montag, 23. April
Nach einem freien Wochenende für die Orgelbauer – sie werden auch am 1. Mai durcharbeiten, da der Zeitplan sehr eng getaktet ist – geht es mit der Reinigung des Auxiliaires weiter. Gleichzeitig beginnt an der Hauptorgel die Wiedereinstimmung und Angleichung der Intonation des Labialpfeifenwerks.
Blick ins Auxiliaire
Zwischen dem hölzernen „Rahmen“ sind ansonsten die vertikalen Jalousien des Schwellers für das Hochdruckwerk (Tuba mirabilis 8′, Doppelflöte 8′ und Cornet 5f 8′) angebracht. Gut zu erkennen ist die extreme Enge im Auxiliaire, die u.a. leider dafür sorgt, dass das Cornet bei geschlossenem Schweller nicht zu verwenden ist, da sich die Pfeifen dann gegenseitig so beeinflussen, dass einzelne Töne arg verstimmt klingen. Hält man die entsprechenden Taste gedrückt und öffnet den Schweller (dies geschieht über einen Registerzug am Hauptspieltisch), stimmt plötzlich alles wieder in sich (vgl. auch Bemerkung zur isoliert stehenden Vox coelestis im Schwellwerk).
Die Registersteuerung
Von Registeranzahl und vom Rauminhalt her gesehen ist das Auxiliaire die kleine Schwester der Hauptorgel – hier sichtbar: die geöffnete Registersteuerung. Man darf sich allerdings nicht täuschen: die zwölf Register hinten können eine ähnliche Klangfülle erreichen wie die 57 Register vorne.
Hochdruckwerk des Auxiliaire
Genauerer Blick ins Hochdruckwerk des Auxiliaire. Wie hier schön sichtbar ist, musste im gesamten Auxiliaire jeder Kubikzentimeter Raum ausgenutzt werden, und trotzdem hat es nicht ganz gereicht: Gedecktbass 8′ (und seine Extension zum Gedecktbass 16′) sollte eigentlich über die gesamte Klaviatur, also bis c““, ausgebaut sein. Da vor Ort dafür allerdings kein Platz war, sondern sich lediglich die Pfeifen bis g‘, also bis zur Grenze des Pedalumfangs, in den Westbau schuhlöffeln ließen, lagern die überzähligen Gedecktpfeifen wohl noch heute am Vorarlberg.
16. Tag – Freitag, 20. April
Mittlerweile ruht auch das Auxiliaire; stattdessen kommt die kleine, aber feine und sehr klangstarke Truhenorgel von Henk Klop zu großen Ehren.
Blick von unten in das Auxiliaire
Gut sichtbar die Ausgleichsbälge der Windversorgung.
Glaseinsätze des Auxiliaire
Man vergleiche das Bild der noch ungereinigten Glaseinsätze des Auxiliaire mit den Aufnahmen nach der Ausreinigung der Hauptorgel – beeindruckend, wie der Schmutz gewütet hat!
Das kleine Pfeifenlager
Blick ins kleine Pfeifenlager im Westwerk, oberhalb der Kaiserloge.
Truhenorgel
Gegenüber des Priestersitzes steht nun die kleine Truhenorgel an akustisch optimaler Stellung und kann den Raum mit 8’4’2′ und Regal 8′ (voll ausgebaut) sowie 1 1/3′ (im Diskant) beeindruckend füllen.